18. September 2024

NR-Wahl 2024: Interview mit Josef Smolle, Gesundheitssprecher der ÖVP im Nationalrat
„Wir müssen die Tätigkeit als Kassenvertragsarzt wieder zum vorrangig anzustrebenden
Arbeits- und Lebensmodell machen. Voraussetzung dafür ist ein österreichweit einheitlicher,
qualitativ und quantitativ attraktiver Leistungs- und Honorarkatalog“
Egon Saurer (ES): Sie sind seit 2018 Abgeordneter zum Nationalrat und üben die Tätigkeit als
Gesundheitssprecher Ihrer Partei aus? Die Politik hat gelinde gesagt nicht das beste Ansehen in der
Bevölkerung! Wie erlebten Sie die parlamentarische Debatte?
Josef Smolle (JS): Als Arzt gehöre ich einer Berufsgruppe mit sehr hohem Ansehen an, als Politiker
dagegen einer Berufsgruppe eher am unteren Ende der Skala, und das liegt im Wesentlichen an zwei
Unterschieden: Erstens möchten von der Medizin alle das Gleiche – nämlich Gesundheit, von der
Politik wünscht sich aber oft jede Interessensgruppe etwas anderes, was naturgemäß nicht zur
allgemeinen Zufriedenheit erfüllt werden kann. Zweitens vermeidet man in der Medizin im
Allgemeinen, schlecht über Kollegen und deren Meinungen zu sprechen, während das gegenseitige
kritische Hinterfragen zum „Kerngeschäft“ einer lebendigen Demokratie gehört. Das ist auch richtig
so, sofern die Auseinandersetzung sachlich und nicht persönlich untergriffig erfolgt. Ich erlebe die
Politik zu 90% als eine seriöse, konstruktive gemeinsame Arbeit, während die restlichen 10% die
Inhalte liefern, die dann über die Medien kolportiert werden. Damit entsteht ein verzerrtes Bild der
Politik in der Öffentlichkeit.
ES: Die Krankenkassen wurden zusammengelegt! Die ÖGK schreibt 2023 einen Verlust von 397
Millionen Euro. Neue teure Medikamente kommen auf den Markt. Ist unser Gesundheitssystem bei
anhaltendem Bevölkerungswachstum so überhaupt noch finanzierbar?
JS: Die ÖGK gibt im Jahr 2024 um 5 Mrd mehr für die Versicherten aus als noch im Jahr 2019.
Gesundheit ist ein superiores Gut und deshalb ist es verständlich und gerechtfertigt, dass es jährliche
Budgetsteigerungen gibt. Im Zuge des Finanzausgleichs 2024-2028 gehen 11 Mrd zusätzlich in
Gesundheit und Pflege, davon 3 Mrd in die Spitäler für Reformschritte und – erstmals – 1.5 Mrd aus
Steuermitteln zusätzlich in die Sozialversicherung. Es gibt erfreulicherweise immer wieder neue,
anfangs teure Medikamente, die echte therapeutische Durchbrüche bringen. Das muss das
Gesundheitswesen auf lange Sicht nicht unbedingt teurer machen. Ich denke da z.B. an die
Magenresektion wegen Ulcus ventriculi, die seit der Entdeckung des Helicobacter pylori durch eine
einwöchige Tablettenbehandlung ersetzt worden ist, oder an Medikamente, die in meiner
„beruflichen Jugend“ Chefarzt-pflichtig waren und nun unter der Rezeptgebühr liegen. Ich bin zutiefst
überzeugt, dass wir uns als eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt jede notwendige
medizinische Versorgung auch in Zukunft leisten werden können.
ES: Die Jahre gab es einen richtigen Innovationsschub in der Nephrologie. Fast wie in der Onkologie
kommen neue Therapeutika auf den Markt, die aufgrund des Patenschutzes sehr teuer sind. Wir
haben derzeit das Problem, dass diese teuren Produkte von den Kassen zum Teil nicht bewilligt
werden! Was sagen Sie grundsätzlich zur Versorgung auch mit teuren Medikamenten?
JS: Durch Vergleichsuntersuchungen ist belegt, dass Österreich gemeinsam mit Deutschland zu den
europäischen Ländern gehört, bei denen innovative Medikamente am raschesten verfügbar gemacht
werden. Dies gilt vor allem für den Spitalsbereich, wo Innovationen meist zuerst angewandt werden.
Hinsichtlich der Erstattung durch die Sozialversicherung für den niedergelassenen Bereich bedarf es
jedoch punktueller Nachbesserungen. Es muss aber allen Beteiligten einsichtig sein, dass im Interesse
der Finanzierbarkeit unseres solidarischen Gesundheitssystems der Erstattung durch die
Sozialversicherung faire Preisverhandlungen vorausgehen müssen.
ES: Patientenvertreter haben sich gegen das neu geschaffene Bewertungsbord für teure
Medikamente ausgesprochen. Patienten müssen die Entscheidungen dieses Gremiums abwarten?
Wie sehen Sie diese Einrichtung?
JS: Es ist eines von vielen kolportierten Missverständnissen, dass Patienten und Ärzte die
Entscheidung des Boards abwarten müssten – das Gegenteil ist der Fall: Das ist schon im Gesetz
festgelegt, und ist auch in der Geschäftsordnung des Bewertungsboards so verankert und erläuternd
dargestellt. Im Übrigen erfolgen ja auch bisher schon gremiale Entscheidungen über den Einsatz
innovativer Therapien, allerdings auf Ebene der Krankenanstalten und damit in oft ziemlich
inhomogener Weise. Mit dem neuen Bewertungsboard wird es nun erstmals österreichweit
einheitliche Empfehlungen auf Grund eines transparenten Prozesses geben. Darüber hinaus gehört
zu den Aufgaben des Boards auch das sog. „horizon scanning“, d.h. die Beobachtung von sich
abzeichnenden Innovationen, sodass man sie möglichst früh aufgreifen kann.
ES: Wir haben vor allem im Großraum Wien viel zu wenige Kassenordinationen. Haben Sie als
Gesundheitspolitiker das Gefühl, dass sich Kassenverträge für Ärzte nicht mehr lohnen oder sind auch
andere Gründe ausschlaggebend für dieses Missverhältnis?
JS: Die Kassenverträge sind nicht schlechter geworden, aber alternative Formen der Berufsausübung
haben offenbar an Attraktivität gewonnen. Während etwa vor 40 Jahren ein Vollerwerbs-Wahlarzt
wirtschaftlich kaum überlebensfähig gewesen wäre, ist das heute offenbar lukrativ geworden. Das ist
einerseits durch eine erhöhte Zahlungswilligkeit größerer Bevölkerungskreise, andererseits durch
Engpässe in der kassenärztlichen Versorgung verursacht – zwei Aspekte, die einander wechselseitig
verstärken. Wir müssen die Tätigkeit als Kassenvertragsarzt wieder zum vorrangig anzustrebenden
Arbeits- und Lebensmodell machen. Voraussetzung dafür ist ein österreichweit einheitlicher,
qualitativ und quantitativ attraktiver Leistungs- und Honorarkatalog, zusammen mit einem Ausbau
der Kassenstellen und höherer Flexibilität der Vertragsgestaltung etwa hinsichtlich Teilzeit. Dazu
bedarf es einer beratenden Patientenlenkung zum „best point of care“ – 1450 kann dabei eine
zentrale Rolle einnehmen.
ES: In Österreich wird das Gesundheitssystem von Bund, Ländern und der Sozialversicherung
finanziert! Sollte die Finanzierung nicht aus einem Topf erfolgen?
JS: Die Gesundheitsfonds in den neun Bundesländern sind ein Schritt in Richtung einer gemeinsamen
Perspektive der drei Finanzierungsquellen. Generell müssen die Honorierungssysteme in einer Weise
gestaltet werden, dass trotz betriebswirtschaftlichen Drucks aller Akteure das für die Patienten
medizinisch Beste und für die Gesellschaft das volkswirtschaftlich Vernünftige herauskommt. In
diesem Sinn muss ein Gesamtvertrag zwischen niedergelassenen Ärzten und der Sozialversicherung
„qualitativ“ attraktiv sein – d.h. wirklich all das abdecken, was sinnvoll in der Ordination gemacht
werden kann und nicht ins Spital abgeschoben werden soll.
ES: Unbesetzte Kassenplanstellen, überlastete Spitäler, eklatante Lücken beim Personal bei einer
gleichzeitig steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung – das sind nur einige der
gesundheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre und für die nächste Legislaturperiode!
Wird die Politik das meistern können?
JS: Wir werden die Herausforderungen meistern, wobei die simple Forderung nach mehr Geld und
mehr Personal an ihre Grenzen stoßen wird. Wir haben mehr Ärztinnen und Ärzte als jemals zuvor,
und auch die übrigen Gesundheitsberufe einschließlich Pflege sind nicht weniger geworden. Wir
brauchen für eine stabile Zukunft eine Lenkung der Patientenströme, eine Restrukturierung der
Spitäler mit entsprechender Konzentration und Schwerpunktsetzung, und wir brauchen vor allem für
die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, wieder mehr Freiraum für ihre Kernaufgaben.
Überregulierung, absurde Parallelhierarchien, Überlastung mit berufsfremden Aufgaben müssen
überwunden werden, damit wieder mehr Zeit für die sinnstiftende Patienten-orientierte Tätigkeit
geschaffen wird. Das wird nicht nur den Patienten zugutekommen, sondern auch der
Arbeitszufriedenheit und damit dem Verbleib im Beruf förderlich sein.
ES: Werden wir uns in zehn Jahren das Sozial- Pensions- und Gesundheitssystem noch leisten
können, da immer weniger Nettozahler immer mehr Nettoempfänger schultern müssen?
JS: Wir werden es uns „leisten können“, und dafür werden wir allerdings auch etwas „leisten
müssen“. Weniger Arbeit wird kein Weg in die Zukunft sein. Gesunde Arbeit, der wir mit Freude
nachgehen, und Leistung, die sich lohnt, sind die unabdingbaren Voraussetzungen auch für künftige
soziale Prosperität.
ES: Vielen Dank für das Interview!
Hinweis:
Die Interviews der Gesundheitssprecher auf argeniere.at:
Gesundheitssrecherin der Neos Fiona Fiedler am 21.8.2024
Gesundheitssprecher der Grünen Ralph Schallmeiner am 28.8.2024
Gesundheitssprecher der FPÖ Gerhard Kaniak am 4.9.2024
Gesundheitssprecher der SPÖ Philip Kucher am 11.9.2024
Gesundheitssprecher der ÖVP Josef Smolle am 18.9.2024