ANÖ Beitrag

11. September 2024

Zur Person:Philip Kucher (42) ist seit vorigem Jahr Klubobmann der SPÖ. Gesundheit ist und bleibt sein Herzensanliegen – er ist nach wie vor Gesundheitssprecher der SPÖ. (c) Parlamentsdirektion/Johannes Zinner
Zur Person: Philip Kucher (42) ist seit vorigem Jahr Klubobmann der SPÖ. Gesundheit ist und bleibt sein Herzensanliegen – er ist nach wie vor Gesundheitssprecher der SPÖ. (c) Parlamentsdirektion/Johannes Zinner

NR-Wahl 2024: Interview mit Philip Kucher, Gesundheitssprecher der SPÖ im Nationalrat

„Die SPÖ hat der Einführung des Bewertungsbords aus gutem Grund nicht zugestimmt.“


Egon Saurer (ES): Sie sind seit 2013 Abgeordneter zum Nationalrat und üben die Tätigkeit als
Gesundheitssprecher Ihrer Partei aus? Die Politik hat gelinde gesagt nicht das beste Ansehen in der
Bevölkerung! Wie erlebten Sie die parlamentarische Debatte?

Philip Kucher (PK): Es stimmt, es gibt viel Unmut in der Bevölkerung mit der Arbeit der
Bundesregierung der letzten Jahre. Das ist verständlich. Wichtig ist nur: es geht bei der nächsten
Wahl aber nicht um eine Protestaktion, sondern um die Zukunft unseres Landes. Und da macht der
Vergleich sicher. Wer hinhört und hinschaut, weiß, dass die nächste Wahl darüber entscheidet ob die
nächste Regierung gegen die Zwei-Klassen-Medizin kämpft, oder nicht. Diese Regierung hat die Zwei-
Klassen-Medizin im Regierungsprogramm noch nicht einmal erwähnt. Die FPÖ hat null Konzepte
gegen die Zwei-Klassen-Medizin – im Gegenteil.

ES: Die Krankenkassen wurden zusammengelegt! Die ÖGK schreibt 2023 einen Verlust von 397
Millionen Euro. Neue teure Medikamente kommen auf den Markt. Ist unser Gesundheitssystem bei
anhaltendem Bevölkerungswachstum so überhaupt noch finanzierbar?

PK: Versprochen wurde von FPÖ und ÖVP eine „Patientenmilliarde“. Seit der Zusammenlegung
haben wir mit dem jährlichen Defizit der ÖGK nun wirklich eine Milliarde erreicht, allerdings eine
Minusmilliarde an Mehrkosten. Ganz offen gesagt: Wenn wir wollen, dass unser Gesundheitssystem
wieder zu dem wird, dass es einmal war, nämlich eines der besten der Welt, dann wird das nicht
gehen, ohne auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen. Dass es gehen kann, sehen wir
in anderen Ländern.

ES: Die Jahre gab es einen richtigen Innovationsschub in der Nephrologie. Fast wie in der Onkologie
kommen neue Therapeutika auf den Markt, die aufgrund des Patenschutzes sehr teuer sind. Wir
haben derzeit das Problem, dass diese teuren Produkte von den Kassen zum Teil nicht bewilligt
werden! Was sagen Sie grundsätzlich zur Versorgung auch mit teuren Medikamenten?

PK: Der Zugang zu innovativen Arzneimitteln muss für die Bevölkerung bestehen bleiben.
Gleichzeitig wird man auch großen Pharmakonzernen nicht alles durchgehen lassen können. Hier
wird es eine europäische Strategie brauchen, die die Medikamentenversorgung sichert und dafür
auch Regeln und Mindestkriterien festlegt. Letztendlich will ich nicht, dass die Frage „Was ist ein
Menschenleben wert?“ gestellt wird, sondern die Frage „Ist das Medikament im konkreten Fall
wirksam?“.

ES: Patientenvertreter haben sich gegen das neu geschaffene Bewertungsboard für teure
Medikamente ausgesprochen. Patienten müssen die Entscheidungen dieses Gremiums abwarten?
Wie sehen Sie diese Einrichtung?

PK: Die SPÖ hat der Einführung des Bewertungsbords aus gutem Grund nicht zugestimmt.

ES: Wir haben vor allem im Großraum Wien viel zu wenige Kassenordinationen. Haben Sie als
Gesundheitspolitiker das Gefühl, dass sich Kassenverträge für Ärzte nicht mehr lohnen oder sind auch
andere Gründe ausschlaggebend für dieses Missverhältnis?

PK: Es krankt wie so oft an mehreren Stellen. Wenn die Bevölkerung wächst, aber Kassenärzte
immer weniger werden, kann sich das irgendwann nicht mehr ausgehen. Darunter leiden die
Patient:innen, weil Wartezeiten länger werden, Kassenärzt:innen, die immer mehr Personen
behandeln müssen – aber auch das Krankenhauspersonal. Es braucht also sowohl mehr
Medizinstudienplätze, damit wir mehr Ärzt:innen ausbilden können, als auch ein Vorreihungssystem,
das dafür sorgt, dass sie am Ende auch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Mehr Planstellen für
Kassenärzte und zweifelsfrei attraktivere Bedingungen. Es wird aber von allen Seiten einen Beitrag
brauchen – auch von Seiten der Wahlärzte.

ES: In Österreich wird das Gesundheitssystem von Bund, Ländern und der Sozialversicherung
finanziert! Sollte die Finanzierung nicht aus einem Topf erfolgen?

PK: Die Finanzierung aus einem Topf ist ein nettes Schlagwort, das schon über Jahrzehnte bemüht
wird. Prioritär scheint mir, die Leistungen dort erbracht werden, wo sie am sinnvollsten und
effizientesten stattfinden können.

ES: Unbesetzte Kassenplanstellen, überlastete Spitäler, eklatante Lücken beim Personal bei einer gleichzeitig steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung – das sind nur einige der gesundheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre und für die nächste Legislaturperiode! Wird die Politik das meistern können?

PK: Wie vorhin schon erwähnt: ja, aber es wird von allen Seiten einen Beitrag brauchen. Ein Beispiel:
Wien war vor 10 Jahren noch um eine Viertelmillion Einwohner kleiner, aber hatte 450
Kassenärzt:innen mehr. Gleichzeitig ist die Zahl der Wahlärzte explodiert. Im Ergebnis sind sowohl die
übriggebliebenen Kassenärzt:innen, als auch das Personal in den Spitälern am Zahnfleisch unterwegs.
Es wird auch nicht besser, weil in zehn Jahren eine Pensionierungswelle bevorsteht. Das bedeutet
auch, jeder Tag, an dem wir heute nicht handeln, rächt sich in zehn Jahren doppelt und dreifach. Es
braucht eben auch den Willen Reformen anzugehen. Ein klare Ausweitung der Medizinstudienplätze
samt Vorreihung jener, die sich freiwillig dazu verpflichten im Anschluss dem öffentlichen System
nach der Ausbildung für eine gewisse Zeit zur Verfügung zu stehen, ein gewisser Beitrag von
Wahlärzt:innen, wenn die Versorgungssituation eng wird. Mehr Prävention, weniger Intervention.
Wir wollen, dass man sich darauf verlassen kann einen Arzttermin innerhalb von 14 Tagen erhält,
wenn man ihn braucht. All das ist möglich, braucht aber Willen und Bereitschaft aller Akteure, daran
mitzuwirken.

ES: Werden wir uns in zehn Jahren das Sozial- Pensions- und Gesundheitssystem noch leisten
können, da immer weniger Nettozahler immer mehr Nettoempfänger schultern müssen?

PK: Menschen, die in Beschäftigung sind und gute Einkommen haben sichern unseren Sozialstaat.
Insofern ist die Politik gefordert, möglichst viele Menschen in möglichst gute Beschäftigung zu
bringen. Aber auch hier ein offenes Wort: in Österreich ist der Faktor Arbeit extrem hoch und der
Faktor Millionenvermögen sehr niedrig besteuert. Es sollten alle Menschen in unserem Land einen
fairen Beitrag zu unserem Sozialstaat leisten. Millionärssteuern wären eine solche Möglichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis:

Die Interviews der Gesundheitssprecher auf argeniere.at:
Gesundheitssrecherin der Neos Fiona Fiedler am 21.8.2024
Gesundheitssprecher der Grünen Ralph Schallmeiner am 28.8.2024
Gesundheitssprecher der FPÖ Gerhard Kaniak am 4.9.2024
Gesundheitssprecher der SPÖ Philip Kucher am 11.9.2024
Gesundheitssprecher der ÖVP Josef Smolle am 18.9.2024