Tirol Beitrag

1. Juli 2023

Univ. Prof. Dr. Gert Mayer, Direktor Universitätsklinik Innsbruck für Innere Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie und Vorsitzende des Senats der Medizinischen Universität Innsbruck @VNT/Archiv
Univ. Prof. Dr. Gert Mayer, Direktor Universitätsklinik Innsbruck für Innere Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie und Vorsitzende des Senats der Medizinischen Universität Innsbruck @VNT/Archiv

Interview mit Univ. Prof. Dr. Gert Mayer, Direktor der Inneren Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie, Universitätsklinik Innsbruck

„Die Kooperation mit dem lokalen Verein hat meiner Klinik unglaublich geholfen.“

Univ. Prof. Dr. Gert Mayer, Direktor Universitätsklinik Innsbruck für Innere Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie und Vorsitzende des Senats der Medizinischen Universität Innsbruck @VNT/Archiv

Egon Saurer (ES): Wie sehen Sie die aktuelle Lage der Nierenpatienten und deren Versorgung in Tirol Gert Mayer

Gert Mayer(GM): Der hohe Anteil an Transplantierten in Relation zu den Dialysepatienten spricht für das exzellente Wartelistenmanagement durch die Dialysestationen und die Qualität der Transplantationsmedizin. Die Klinik bietet bei komplexen und akuten Eigennierenerkrankungen eine hochstehende Versorgung, auch in anderen Spitälern arbeiten inzwischen exzellente Nephrologen. In der Versorgung chronischer Nephropathien muss aber noch mehr geschehen, vor allem die Früherkennung und die kontinuierliche Versorgung im niedergelassenen Bereich müssen ausgebaut werden.

ES: Sie sind ja ursprünglich von Wien (AKH) nach Innsbruck gekommen und haben die Leitung der Nephrologie übernommen. Können Sie uns ein wenig über Ihre Erfahrungen mit Tirol berichten?

GM: Wie in Wien ist es für jemanden, der neu beginnt, nicht einfach die Strukturen zu durchschauen. Man braucht da wie dort einen langen Atem.

ES: Die Dialysestation in der Klinik wurde umgebaut, die Bettenstation erweitert und die Ambulanz übersiedelte in die neu errichtete Innere Medizin. Sind Sie derzeit mit dem „Status Quo“ zufrieden?

GM: Man darf nie zufrieden sein. Natürlich freut mich die Entwicklung unserer Klinik und die Tatsache, dass inzwischen in vielen Spitälern Nephrologen arbeiten, die bei uns ihre Ausbildung absolviert haben. Wir konnten letztendlich unsere Stellen auch mit eigenem Personal besetzen und haben damit die Chance, uns in Teilbereichen weiter zu spezialisieren. Im akademischen Umfeld gehören wir zu den führenden Kliniken der Universität, wir liegen in allen Bereichen (Lehre, Drittmitteleinwerbungen und Publikationsoutput) im obersten Drittel der Einrichtungen, für mich eine ganz tolle Entwicklung. Wenn wir ein national und international anerkanntes Zentrum bleiben wollen müssen wir uns aber immer weiter entwickeln.

ES: Kommen wir zur Nephrologie! Allgemein spricht man von einem Mangel an Nephrologen. Was können Sie uns dazu sagen?

GM: In der Nephrologie fehlen derzeit die herausragenden therapeutischen Innovationen. Daher kann der Eindruck entstehen, dass die Zukunft in anderen Fächern passiert, die klügsten jungen Köpfe wandern ab. Es liegt an den „alten Hasen“ (wie mir) hier aufzuzeigen, wie wundervoll die Möglichkeiten in unserem Fach sind.

ES: Wir haben einen aktuellen Medikamentenengpass. Auch bei Immunsuppressiva und Medikamenten für Dialysepatienten gibt es Probleme. Wie ernst müssen wir das Thema nehmen?

GM: Ich glaube nicht, dass es tatsächlich zu massiven Engpässen kommen wird, dazu ist das Thema zu sensibel. Trotzdem müssen wir wachsam bleiben, ungünstige Entwicklungen früh aufzeigen und diesen möglichst früh entgegentreten.

ES: Immer ein wichtiges Thema für TX-Patienten ist die Frage, ob ein Generikum die gleiche Wirkung aufweist wie das Originalprodukt?

GM: Nicht jedes Generikum kann ein Originalpräparat ersetzen. Der Zulassungsprozess ist in Österreich aber streng reguliert. Trotzdem sollte man darauf achten, dass es nicht zu einem völlig unkontrollierten, häufigen Wechsel der Präparate kommt.

ES: Sie sind mittlerweile auch Senatspräsident der Medizinischen Universität Innsbruck. Keine UNI in Österreich schafft es international in Spitzenränge, wie etwa die Schweiz oder Finnland, die ebenfalls kleine Länder sind, verlieren wir hier an Terrain?

GM: Das ist eine überaus komplexe Angelegenheit. Was unterscheidet uns von der Schweiz? In Österreich gehen junge Kollegen, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen ein Risiko ein. Es gibt de facto nur die Universitätskliniken für eine Karriere. Die Stellen dort sind aber rar und es fehlen oft die innovativen Unternehmen, die bereit sind ebenfalls ForscherInnen zu beschäftigen. Der Staat hat sich aus der klinischen Forschung fast komplett zurückgezogen, als Kliniker kann man nur mehr über den FWF größere Projekte finanzieren, das Gesamtbudget ist dort aber sehr begrenzt. Das Krankenanstalten Arbeitszeitgesetz ist auch nicht hilfreich.

„Der Staat hat sich aus der klinischen Forschung fast komplett zurückgezogen, als Kliniker kann man nur mehr über den FWF größere Projekte finanzieren, das Gesamtbudget ist dort aber sehr begrenzt.“

Man kann nicht mehr gezwungen werden mehr als vorgeschrieben zu arbeiten, unsere derzeitige Interpretation ist aber, dass man nicht mehr bezahlt arbeiten darf, selbst wenn man möchte. Wenn man im internationalen Spitzenfeld reüssieren will, reichen 55 oder bald 48 Stunden aber nicht aus. Dann muss sich der Nachwuchs oft zwischen klinischer Ausbildung und Forschung entscheiden, bei dem oben erwähnten Risiko wird oft die Klinik gewählt. Trotzdem ist in Österreich bei Weitem nicht alles schlecht, wir bilden immer noch sehr gute, akademisch naturwissenschaftlich kritisch denkende Mediziner aus. Das wird auch so bleiben solange dies in eigenständig forschenden Institutionen geschieht. Erst wenn von diesem Prinzip abgegangen wird werden wir wirklich den Anschluss verlieren.

ES: Welchen Stellenwert räumen Sie Selbsthilfevereine ein?

GM: Je besser Selbsthilfevereine organsiert sind und je besser deren Kooperation mit den Entscheidungsträgern ist, desto besser die Versorgung in einem Fachgebiet. Es geht nicht darum kritische Diskussionen zu vermeiden sondern gemeinsam Lösungen zu finden. Die Kooperation mit dem lokalen Verein hat meiner Klinik unglaublich geholfen. Wenn Ärzte Forderungen stellen kommt sofort das Gegenargument der Eigennützigkeit, wenn Patientenvereine dieselbe Forderung aufstellen hat dies ein völlig anderes Gewicht.

(Alle Begriffe sind geschlechtsneutral zu verstehen.) Das Interview mit Univ. Prof. Dr. Gert Mayer erschien in den „Österreichischen Nieren Nachrichten, Ausgabe 02/2020

Zur Person: Von 1977 bis 1983 Studium der Humanmedizin in Wien, 1984 Beginn der Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin an der 2. Medizinischen Universitätsklinik/AKH Wien, 1993 Addivfacharzt für Nephrologie, 1999 Berufung zum Universitätsprofessor für Innere Medizin mit besonderer Berücksichtigung der Nephrologie an der Universität Innsbruck und Ernennung zum Leiter der neu errichteten Klinischen Abteilung für Nephrologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin. Sein akademischer Schwerpunkt liegt im Bereich der Bioinformatik/Systembiologie bei chronischen Nierenerkrankungen. Gert Mayer übt auch die Funktion des Senatspräsidenten der Medizinischen Universität Innsbruck aus.