Tirol Beitrag

1. Juli 2023

Prof.
Prof.

Interview mit Univ. Prof. Dr. Gert Mayer, Direktor Innere Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie

„An unserer Klinik sind derzeit 12 von 28 Betten gesperrt. Es ist völlig unklar, ob sich diese Situation in den nächsten Monaten ändert“

“ Ich glaube nicht, dass der Mangel an Pflegepersonal kurz- bis mittelfristig behoben werden kann“ ©:CMI

Nephro Tirol (NT): In vielen Spitälern müssen Betten gesperrt werden. Was sind die Ursachen?

Gert Mayer (GM): Der Mangel an Pflegekräften macht den Kliniken, wie dem gesamten Gesundheitssystem zu schaffen. Vor allem für Fächer, die multimorbide, schwer kranke und/oder ältere Patientinnen und Patienten versorgen ist es schwer, Personal zu halten bzw. zu ersetzen. Damit stehen jene Bereiche, die den höchsten Bedarf an Spitalsbetten haben, am meisten unter Druck. Erschwerend kommt dazu, dass der Transfer von pflegebedürftigen Patient:innen nach der medizinischen Versorgung in nachgeschaltete Pflegestrukturen stockt, weil auch dort Personalmangel herrscht. Standortspezifische Probleme komplizieren die Situation noch weiter.

NT: Was meinen Sie mit „standortspezifisch“?

GM: Nehmen wir das Department für Innere Medizin an der Klinik in Innsbruck. Wir haben auf der einen Seite den Auftrag überregional fachspezifische Spitzenmedizin anzubieten. Es gibt Bereiche wie die Nephrologie, in denen die Universitätsklinik die einzige sekundäre und tertiäre Versorgungsstruktur für das gesamte Bundesland ist. Im Prinzip ist diese Konzentration bei hochspezialisierten Bereichen sehr sinnvoll. Nur so gelingt es Routine bei sehr komplexen, aber relativ (z .B. im Vergleich zu COVID Infektionen) gesehen „selteneren“ Fragestellungen zu entwickeln und eine medizinisch und ökonomisch optimale Betreuung zu ermöglichen. Darüber hinaus wird die Ausbildung von Spezialist:innen sichergestellt. Auf der anderen Seite gibt es am Department eine 24/7 Notfallaufnahme. Deren Behandlungsfrequenzen steigen kontinuierlich und da das Zentralspital auch diese Patientinnen und Patienten akut selbst stationär versorgen muss beginnt ein Wettkampf zwischen der Basis- und der Spitzenversorgung um die vorhandenen Kapazitäten. Bei diesem haben die fachspezifischen Aufnahmen oft das Nachsehen. Wenn alle vorhandenen freien Betten über Nacht belegt werden, kann am nächsten Tag die geplante Aufnahme zur Nierenbiopsie nicht mehr erfolgen.

„Wenn alle vorhandenen freien Betten über Nacht belegt werden, kann am nächsten Tag die geplante Aufnahme zur Nierenbiopsie nicht mehr erfolgen.“

Um die daraus folgenden Konsequenzen vielleicht etwas anschaulicher zu machen: Nehmen wir an es gibt einen Mangel an Automechanikern. Man beschließt, dass die noch vorhandenen, also auch jene aus Fachwerkstätten, zur Pannenhilfe abgestellt werden. Fahrzeuge, die auf der Autobahn akut liegen bleiben können soweit notdürftig repariert werden, dass sie zumindest wieder einige Kilometer fahren. Die Autobahn ist wieder frei, das Problem scheinbar gelöst. Freilich bleiben die Fahrzeuge aber bald wieder stehen, die Pannenhilfe rückt wieder an. Da es keine Fachwerkstätten mehr gibt, werden grundlegende Reparaturen nicht mehr durchgeführt. Zuerst liegt dies noch an der Tatsache, dass die Werkstätten geschlossen sind, nach einiger Zeit gibt es aber für bestimmte Automarken oder Probleme keine Mechaniker mehr, die überhaupt eine entsprechende Expertise haben. Das amerikanische Gesundheitssystem hat sich, zumindest für jene Teile der Bevölkerung, die sich keine private Versorgung leisten können, in diese Richtung verändert und ist, wie wir wissen, sehr ineffizient und trotzdem extrem teuer. Man muss auch bedenken, dass jede spezialisierte Klinik naturgemäß eine relativ kleine Kapazität hat.

„Die Nephrologie am Landeskrankenhaus kann die Notfallaufnahme bei allgemein
internistischen Akutfällen eigentlich quantitativ nicht wirklich spürbar entlasten.“

Die Nephrologie am Landeskrankenhaus kann die Notfallaufnahme bei allgemein internistischen Akutfällen eigentlich quantitativ nicht wirklich spürbar entlasten. Der Kollateralschaden durch Sperren, weil Personal anderweitig eingesetzt wird oder wegen Belegung mit „fachfremden“ Patient:innen für die hochspezialisierte Versorgung ist aber enorm. Letztendlich wird die Zahl der Patient:innen mit schweren Komplikationen (in unserem Fall zum Beispiel der Dialysepflichtigkeit) zunehmen.  An unserer Klinik sind derzeit 12 von 28 Betten gesperrt. Es ist völlig unklar, ob sich diese Situation in den nächsten Monaten ändert. Kurzfristig versucht man natürlich zu kompensieren. Zum Beispiel werden Patient:innen mit schweren Nierenerkrankungen, weil sie ja aufgenommen werden müssen, auf anderen Kliniken untergebracht. Allerdings fehlt dort die entsprechende Fachexpertise der Pflege und die Betreuung durch die Nephrologie
auf Konsiliarbasis erreicht natürlich nicht jene Qualität die auf einer spezialisierten Station erreicht werden kann. Eine Versorgung des Bundeslandes auf dem Standard, den wir gewohnt sind, ist mittelfristig so aber nicht möglich. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Kliniken in Innsbruck sehr forschungsaktiv sind. Die universitäre Medizin, und damit meine ich Lehre und Forschung, kann ihren Aufgaben nur nachkommen, wenn die Spezialisierung erhalten bleibt.

NT: Gibt es eine Lösung?

GM: Ich glaube nicht, dass der Mangel an Pflegepersonal kurz- bis mittelfristig behoben werden kann, die Ursachen sind zu vielfältig und komplex und die eingeleiteten Maßnahmen werden sich wohl erst längerfristig hoffentlich günstig auswirken. Eine einzige Anmerkung möchte ich aber doch machen. In den Medien hört man unentwegt, wie psychisch und physisch fordernd die Arbeit mit schwer kranken Menschen ist. Viel weniger spricht man über die Erfolgserlebnisse oder die Dankbarkeit gerade dieser Patient:innen, die für vieles entschädigen. Bei einer derartigen Schieflage der Information darf man sich nicht wundern, wenn sich junge Menschen eher anderen Berufen zuwenden. Hier geht es nicht um
„Schönreden“ sondern nur darum, dass es neben Schatten auch viel Licht gibt und sich der Pflegeberuf oder jener des Arztes/der Ärztin nicht wirklich von anderen unterscheidet (ich glaube nach wie vor er ist der Beste den man haben kann).
Solange aber die vorhandene Kapazität nicht in der Lage ist, alle Bedürfnisse zu decken, brauchen wir klare Vorgaben. Vorrangig sehe ich die Notwendigkeit einer Feststellung, welche medizinischen Leistungen an welchem Standort unbedingt erbracht werden müssen. Dann müssen alle Anstrengungen darauf abzielen, diese Vorgabe konsequent umzusetzen.
Die Kriterien für diese Entscheidungen müssen einerseits die Versorgungs-, aber auch die Ausbildungsnotwendigkeit am Standort und darüber hinaus berücksichtigen.

NT: Also, eine klarere Definition der Aufgaben der Spitäler als bisher?

GM: Das wäre ein Vorschlag. Wie derzeit in der Steiermark diskutiert ist es unter den gegebenen Umständen sinnvoll, bestimmte Leistungen nur an bestimmten Standorten zu erbringen.Das gilt für die Primär- und die spezialisierte Versorgung.

NT: Wie sieht es mit Ärzt:innen aus, gibt es da auch Engpässe?

GM: Hier gibt es massive Unterschiede zwischen den einzelnen Versorgungsstrukturen. Die Antwort ist für den niedergelassenen Bereich eine andere als für die Spitäler, aber selbst für letztere ist die Situation sehr variabel. An unserer Klinik haben wir ein sehr stabiles Team und auch viele junge Kolleginnen und Kollegen, die Nephrologinnen und Nephrologen werden möchten. Dies liegt auch daran, dass es nach Jahren des Stillstandes in unserem Fachbereich neue und extrem wirksame Therapiemöglichkeiten gibt. Welche Disziplin kann derzeit behaupten, dass bei einer sehr häufigen Erkrankung das Risiko für eine schwerwiegende Komplikation um fast 50% reduziert werden kann?

„An unserer Klinik haben wir ein sehr stabiles Team und auch viele junge Kolleginnen und Kollegen, die Nephrologinnen und Nephrologen werden möchten.“

Genau das ermöglichen aber z.B. SGLT2-Hemmer und andere Substanzen bei diabetischer Nephropathie und der Notwendigkeit eine Dialysetherapie einzuleiten. Gerade junge Kolleg:innen wollen Krankheiten nicht nur erkennen und verstehen, sie wollen vor allem erfolgreich in den Verlauf eingreifen. Die Nephrologie hat sich in letzter Zeit in vielen therapeutischen Bereichen extrem entwickelt. Dies war auch höchst an der Zeit, gehen doch Prognosen bisher davon aus, dass Nierenerkrankungen im Jahr 2040 die fünfthäufigste Todesursache weltweit sein werden. Allerdings muss man auch hier bedenken, dass in einem, in Österreich fast ausschließlich in Krankenanstalten gelebten Fach wie der Nephrologie mit jeder Reduktion der intramuralen Kapazität längerfristig auch
die Ausbildung in diesem Bereich leidet und damit der Transfer des Wissens in die tägliche Routine abnimmt

NT: Welche Rolle spielen Patientenvertretungen in dieser Situation?

GM: Patientenvereine waren schon immer wichtig, die Bedeutung nimmt aber weiter zu. In der Diskussion um Ressourcen innerhalb von Organisationen wird oft das Argument vorgebracht, dass Ärzt:innen nur Ihre persönlichen Interessen vertreten. Letztendlich können sich nur Bereiche halten und entwickeln, bei denen auch die Patient:innen die Notwendigkeit der Versorgung klar deklarieren. Je besser die Organisation hinter der Forderung, desto mehr Gehör wird ihr zu Teil werden.

(Das Interview erschien in den „Österreichischen Nieren Nachrichten, Ausgabe 01/2023)