23. Jänner 2019
Wiener Forscher entwickeln Organoid-Modell für Blutgefäße
Methode eignet sich unter anderem zur Imitation von Diabetes-bedingten Gefäßschäden
(ANÖ/APA). Wien/London – Sogenannte Organoide – künstlich gezüchtete organähnliche Strukturen von wenigen Millimetern Größe – ermöglichen medizinische Tests, für die ansonsten Tierversuche herangezogen würden. In den vergangenen Jahren wurden unter anderem schon Modelle des Gehirns, des Herzens oder der Nieren angefertigt.
Nun haben Forscher des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) ein weiteres vorgestellt: Es gelang ihnen, eine 3D-Gewebekultur zu etablieren, mit der sich Blutgefäße im Mikro-Maßstab untersuchen lassen. Als Modell eignet sich die in „Nature“ präsentierte Technik beispielsweise zur Imitation von Diabetes-bedingten Gefäßschäden.
Hintergrund
„Diabetiker leiden als Spätfolgen ihrer Erkrankung oft an Gefäßerkrankungen“, sagte Dontscho Kerjaschki, ehemals Leiter des Klinischen Instituts für Pathologie der MedUni Wien im AKH und Co-Autor der Studie. Bei den großen Blutgefäßen sei das die schneller auftretende Atherosklerose mit Herzinfarkt, Schlaganfall etc. als mögliche Folgen. „Noch viel gefährlicher ist für sie aber die Mikro-Vaskulopathie, also die diabetische Gefäßerkrankung der kleinen Gefäße“, betonte Kerjaschki. „Besonders katastrophal ist das als Ursache der diabetischen Nierenerkrankung, wobei viele Zuckerkranke dialysepflichtig werden, oder bei der diabetischen Netzhauterkrankung.“
Aus einem persönlichen Kontakt zwischen Kerjaschki und dem damaligen Chef des IMBA, Josef Penninger, entwickelte sich schließlich die Arbeit an dem 3D-Organoid-Modell für Blutgefäße, wie es Reiner Wimmer und andere Mitarbeiter des Instituts schließlich herstellten. Es handelt sich um ein bis zwei Millimeter große Modelle für die Kapillargefäße des Menschen mit Endothelzellen als einen Hohlraum auskleidende Schicht sowie Perizyten als Stützzellen.
Die Methode
Für ihr Kapillar-Blutgefäßmodell ließen die Wissenschafter induzierte menschliche Stammzellen so ausdifferenzieren, dass sie funktionierende Mikro-Blutgefäße bildeten. Diese wurden in einer Versuchsanordnung schließlich in die Nieren von immundefizienten – also die humanen Zellen nicht abstoßenden – Mäusen implantiert. „Die Organoide wuchsen und überlebten zu mehr als 95 Prozent länge als sechs Monate“, berichten die Wissenschafter in „Nature“.
Als Modell eignet sich die Versuchsanordnung offenbar auch sehr gut für wissenschaftliche Forschung zum Thema der Mikrogefäß-Erkrankung bei Typ-2-Diabetikern. „Ein wesentliches Merkmal ist die Verdickung und zwiebelähnliche Struktur der Basalmembran dieser Blutgefäße. Hinzu kommt, dass die Endothelzell-Schicht undicht wird“, sagte Kerjaschki. Diese Undichtheit führt beispielsweise bei der Netzhauterkrankung von Zuckerkranken zu den typischen Schäden des Augenhintergrundes und Erblindung auslösen.
Diabetes-Erkrankung nachgeahmt
Die Wissenschafter imitierten Typ-2-Diabetes im Labor, indem sie die Organoide hohen Zucker- und Entzündungsbotenstoff-Konzentrationen aussetzten. Bis hin zu elektronenmikroskopischen Untersuchungen zeigten sich im Miniatur-Maßstab die typischen krankhaften Veränderungen der Kapillargefäße.
Die ersten und in Zukunft möglicherweise auch für die Suche nach neuen Präventions- und Therapiestrategien für die diabetische Gefäßerkrankung wichtigen Erkenntnisse zogen die Wissenschafter aus einem Test, bei dem sie die diabeteskranken Organoide mit einer ganzen Reihe von herkömmlichen, den Blutzuckerspiegel senkenden Antidiabetika-Medikamenten „behandelten“. „Keines von ihnen hatte einen Effekt auf die Veränderungen der Blutgefäß-Organoide“, sagte Kerjaschki.
Am ehesten wirkte ein Hemmstoff des Gamma-Sekretase-Enzyms (DAPT). DAPT reduzierte die Bildung des Gefäß-verdickenden Kollagens vom Typ IV und normalisierte das Entstehen von Endothelzellen. Laut den Untersuchungsergebnissen ist das offenbar durch einen Effekt auf die Expression des NOTCH3- Gens zurückzuführen. Gamma-Sekretase-Hemmstoffe wurden bisher als potenzielle Alzheimer-Medikamente erprobt.
Hohe Ähnlichkeit
„Das Spannende an unserer Arbeit ist, dass es uns gelungen ist, echte menschliche Blutgefäße aus Stammzellen herzustellen. Unsere Organoide sind den menschlichen Kapillaren unglaublich ähnlich und erlauben uns erstmals, Blutgefäßerkrankungen direkt am menschlichen Gewebe zu untersuchen „, sagt Reiner Wimmer, Postdoc am IMBA und Erstautor der Studie.