ANÖ Beitrag

9. Oktober 2023

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Chronische Nierenerkrankung: Neue Ansätze zur Frühdiagnostik und Progressionshemmung

(idw) Chronische Nierenkrankheiten sind häufig – und sie sind „stumm“, d.h. sie werden erst in späten Stadien durch Symptome erkennbar. Bei früher Diagnose gibt es jedoch effektive Therapien, mit denen verhindert werden kann, dass sich die Nierenfunktion weiter verschlechtert und irgendwann eine Dialysebehandlung notwendig wird. Zwei Medikamentenklassen wurden in den letzten Jahren entwickelt und zugelassen, die (zusätzlich zu Basismaßnahmen mit Verbesserung des Lebensstils) eine Nieren- und kardiovaskuläre Schutzwirkung aufweisen – insbesondere, wenn die Nierenschädigung rechtzeitig erkannt wird.

Mehr als jeder Zehnte leidet an einer chronischen Nierenkrankheit (CKD), was den meisten Betroffenen aber nicht bewusst ist, denn zu spürbaren Symptomen kommt es erst bei fortgeschrittener CKD. Die Diagnose erfolgt daher oft in einem späten Stadium. Um ein schleichendes Nierenversagen zu verhindern, sollte eine CKD aber möglichst früh erkannt werden, damit progressionshemmende Medikamente rechtzeitig eingesetzt werden können.

Neben der bewährten Behandlung von Bluthochdruck und Senkung der Albuminurie mit Renin-Angiotensin-System-Inhibitoren (RASi), d.h. ACEi („Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren“) oder ARB („Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker“), gibt es heute zwei weitere pharmakologische Substanzklassen, die progressionshemmend wirken. Dies sind zum einen die SGLT-2-Inhibitoren (auch „Gliflozine“), selektive Hemmer des renalen Natrium-Glukose-Cotransporters-2. Sie blocken die Glukoserückresorption im proximalen Nierentubulus, was zur verstärkten Glukoseausscheidung mit dem Urin führt. Dadurch sinkt unter anderem der Blutzuckerspiegel (die Substanzen wurden ursprünglich vor über 10 Jahren auch als orale Antidiabetika entwickelt). Randomisierte Therapiestudien zeigten, dass sie auch eine positive Wirkung auf Herz und Nieren haben, insbesondere verlangsamen sie den Nierenfunktionsverlust signifikant [1, 2, 3]. Ein weiteres Medikament zur CKD-Progressionshemmung ist Finerenon [4], ein neuartiger, nicht-steroidaler, selektiver Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (MRA), der 2022 in der EU zugelassen wurde.

Die neue KDIGO-Leitlinie [5], die sich aktuell noch im Experten-Peer-Review-Prozess befindet, empfiehlt als Firstline-Therapie für alle Patienten mit progressiver CKD und Albuminurie die Gabe eines RASi in maximal tolerierter Dosis. Zusätzlich sollten alle Patienten mit CKD und Herzinsuffizienz oder mit einer Albuminurie ≥200 mg/g einen SGLT-2-Inhibitor erhalten (Empfehlung 3.6.2). Bei Therapiebeginn mit einem SGLT2i sollte die Nierenfunktion (eGFR) jedoch über 20 ml/min/1,73 m2 liegen, wenn auch im weiteren Verlauf der Nierenkrankheit das Medikament beibehalten werden darf. Die Behandlung mit Finerenon wird (zusätzlich zu RASi in maximaler Dosis und SGLT2i) für alle erwachsenen Diabetiker mit CKD und einer eGFR >25 ml/min/1,73 m2, normalem Serumkalium und einer Albuminurie >30 mg/g empfohlen. Während der Therapie sollte allerdings das Serumkalium regelmäßig kontrolliert werden, da das Risiko einer Hyperkaliämie besteht.
„Die Bedeutung der frühzeitigen Diagnose kann allerdings nicht oft genug betont werden“, erläutert Prof. Dr. Danilo Fliser, Homburg/Saar, Tagungspräsidium der 15. Jahrestagung der DGfN. Für eine Früherkennung ist der „klassische“ Nierenmarker, das Serumkreatinin, jedoch nur bedingt geeignet, da es erst relativ spät im Verlauf einer chronischen Nierenschädigung signifikant ansteigt. Ein Test auf Albuminurie zeigt die Erkrankung ggf. früher an, wird jedoch leider nicht immer durchgeführt.

Um insbesondere Risikopatientinnen und -patienten für eine schnelle CKD-Progression zu identifizieren, die eindeutig von spezifischen Interventionen, z. B. einer sehr intensiven Blutdrucksenkung, profitieren, wären zusätzliche Biomarker sinnvoll. So untersuchte eine Studie das „Dickkopf-3-Protein“ (DKK3) im Urin, einen Stressmarker für Nierentubuluszellen, als neuen Biomarker für den kurzfristigen Nierenfunktionsverlust bei 659 Kindern mit CKD [6]. In zwei verschiedenen Kohorten war DKK3 im Urin bei Werten über dem Median (d. h. >1.689 pg/mgKrea) mit einem signifikant stärkeren GFR-Rückgang über sechs Monate verbunden als bei DKK3-Urinwerten unter dem Median (GFR -5,6% versus 1,0%; p<0,0001). Im Verlauf profitierten Kinder mit hohem DKK3 signifikant hinsichtlich der renalen Endpunkte von einer intensivierten Blutdrucksenkung. Die Therapie mit RASi senkte die DKK3-Werte im Urin fast auf die Hälfte (12.235 pg/mg versus 6.861 pg/mg p<0·0001).

„Unser Ziel ist es, alle Menschen mit progressiver Nierenschädigung so früh wie möglich zu erkennen und einer adäquaten Behandlung zuzuführen“ betont Prof. Fliser. „Nur so kann die ‚Prodomalphase‘ der Nierenkrankheit, wenn die GFR nur leicht eingeschränkt ist, für die Progressionshemmung genutzt werden. Anfangs ist das durch Lebensstiländerung, Blutdruck- und Diabetes-Einstellung möglich, später dann auch durch die Hinzunahme der neuen, modernen Medikamentenklassen. Vielen Betroffenen könnte dann die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie in ihrem Leben ganz erspart werden.“