22. Mai 2018
Regierung schafft Gebietskrankenkassen ab
Die Regierung hat am Dienstag ihre Pläne für die Reform der Sozialversicherungen vorgelegt. Geplant ist eine Zusammenlegung der derzeit 21 Träger auf maximal fünf, die Zukunft der AUVA ist weiter offen. Die Regierung erhofft sich Einsparungen von einer Milliarde Euro. Ein Gesetzesentwurf soll im Juli vorliegen, bis Ende November beschlossen werden und 2019 in Kraft treten.
(ANÖ/APA). Die neun Gebietskrankenkassen werden zu einer „Österreichischen Gesundheitskasse“ (ÖGK) fusioniert. Die Sozialversicherungsanstalten der Selbstständigen (SVA) und der Bauern (SVB) werden zu einem „Selbstständigen-Träger“ (SVS) zusammengelegt. Die Beamtenversicherung (BVA) und die Versicherung der Eisenbahner und für den Bergbau kommen zu einer Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst und Schienenverkehrsunternehmen zusammen. Beide sollen auch für Unfall und Pensionen ihrer Versicherten zuständig sein. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt bestehen, bekommt damit aber im Gegensatz zu den Ankündigungen im Regierungsprogramm keine zusätzlichen Versicherten.
AUVA muss bis zu 500 Millionen einsparen, ansonsten droht die Auflösung
Offen ist nach wie vor die Zukunft der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Bis 31. August muss die AUVA Beschlüsse über die Einsparungen der verlangten 500 Millionen fassen, andernfalls wird sie aufgelöst. Sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) versicherten aber, dass auch im Falle einer Auflösung keine Spitäler oder Reha-Zentren zugesperrt würden.
AUVA-Obmann Anton Ofner sah in der Punktation der Regierung aber durchaus einen Fortschritt und geht von einem Fortbestand seines Trägers aus. Er begrüßt, dass die Regierung nun auch die Entgeltfortzahlungen für Arbeitnehmer und die zu geringe Vergütung für Freizeitunfälle bzw. die zu hohen Zahlungen für Arbeitsunfälle anspricht. Wenn die AUVA dies abgegolten bekomme, sei die geforderte Einsparung in der Größenordnung von 500 Mio. Euro zu erreichen, meinte Ofner.
Personalhoheit für neue Gesundheitskasse und Hauptsitz nicht mehr in Wien
Die neue ÖGK soll die Budget- und Personalhoheit bekommen. Zudem obliegt ihr die Steuerung inklusive der bundesländerübergreifenden Gesundheitsplanung. Die ÖGK ist zuständig für die Verhandlung eines österreichweiten Gesamtvertrages mit den Ärzten und der entsprechenden Honorare. Die Landesstellen sind weiterhin für die regionale Versorgungsplanung zuständig und es wird ihnen die Möglichkeit gegeben, Zu- und Abschläge zum Gesamtvertrag zu verhandeln. Wo die Zentrale der ÖGK sein soll, ist noch offen, Kurz hält es aber für „sinnvoll“, sie in einem Bundesland anzusiedeln.
Für Aufregung vor allem auf Seite der Arbeitnehmervertreter sorgt, dass künftig nicht mehr die Dienstnehmer die Mehrheit in den Gremien der Kassen haben, sondern sich Arbeiter- und Wirtschaftskammer die Mandate im neu zu schaffenden Verwaltungsrat paritätisch teilen. Damit werden künftig die Arbeitgeber wesentliche Entscheidungen treffen können. Die Beitragseinhebung soll auch zukünftig „einheitlich und zentral durch die ÖGK erfolgen“. Die Beitragsprüfung soll aber zum Finanzministerium wandern.
Die Regierungsspitze überbot sich bei der Präsentation ihrer Pläne quasi mit Superlativen. Für Kurz handelt es sich um „eines der größten Reformprojekte in der Geschichte Österreichs“. Und Strache unterstrich, dass die Sozialversicherung „bis dato ein völliger Therapieverweigerer“ gewesen sei.
Harsche Kritik von SPÖ, Neos und Liste Pilz und ÖGB
Heftige Kritik kam hingegen von der Opposition. SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner konstatierte die wohl „größte Umfärbeaktion der Zweiten Republik“. Die Liste Pilz fürchtet ebenso wie die SPÖ Leistungseinschränkungen für die Versicherten. Und die NEOS sehen nur einen „Marketing-Gag“ und keine wirkliche Reform. Kein gutes Haar an der geplanten Reform der Sozialversicherung lassen die SPÖ-Vertreter in den Ländern. So fürchtet etwa Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) Leistungskürzungen für die Patienten. Anklang finden die Ankündigungen der Regierung bei ÖVP und FPÖ, wobei Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer fordert, in die Gesetzgebung eingebunden zu werden. Kaiser bezweifelt die berechnete Einsparung von einer Milliarde Euro bei der Sozialversicherungsreform. Der gesamte Verwaltungsaufwand liege derzeit bei 500 Millionen, hieß es am Dienstag aus seinem Büro. Es sei daher zu befürchten, dass es zu Leistungskürzungen kommen könnte. „Wer glaubt eine Fusion als feindliche Übernahme zu veranstalten und dabei große Einsparungen lukrieren möchte, hat keine Ahnung von Unternehmensführung“, sagte wiederum NÖGKK-Obmann Gerhard Hutter. „Das wird in der Wirtschaft nur dann gemacht, wenn danach die Firmenteile abverkauft oder zugesperrt werden sollen.“ Die Regierung würde die Konfrontation suchen statt Lösungen.
Tirols ÖGB-Vorsitzender Philip Wohlgemuth ortete in den präsentierten „Kassenfusions-Plänen ein billiges Ablenkungsmanöver“. „In Wahrheit geht es Schwarz-Blau um nichts anderes als den eigenen Machtausbau“, so Wohlgemuth. Die angestrebten Einsparungen bedeuteten zwangsweise Leistungskürzungen.
Der ÖGB sprach von einer „Enteignung der versicherten Arbeitnehmer“ und befürchtet ebenso wie die AK Leistungskürzungen. Auch die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse und Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband, Ingrid Reischl, hält die Arbeitnehmer für die „großen Verlierer der Reform.“ Hauptverbands-Chef Alexander Biach sieht Licht und Schatten und fordert Präzisierungen sowie eine Fortsetzung der Gespräche.