14. Februar 2020
Lehner: „Rote Selbstverwaltung“ schuld an Defizit der Österreichischen Gesundheitskasse
Die Reform mit der Zusammenlegung der Träger sei „definitiv nicht“ schuld an den Verlusten, so der Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger, Peter Lehner. Die Arbeitnehmervertreter sind empört.
(ANÖ/APA). Der Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger, Peter Lehner, macht für die steigenden Defizite in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) „die Beschlüsse der roten Selbstverwaltung“ verantwortlich. Die Reform mit der Zusammenlegung der Träger sei „definitiv nicht“ schuld an den Verlusten, sagte Lehner. Hilfe von außen für die ÖGK lehnt er ab.
Vor der Fusion sei von den Gebietskrankenkassen „sehr willkürlich ohne Rücksicht auf die Budgets Geld ausgegeben“ worden, kritisierte Lehner. Das zeige, wie wichtig die Reform gewesen sei, um einen Gesamtblick auf die Kassen zu haben. Die Fusionskosten bezeichnete der Dachverbands-Chef als „minimal“, diese seien für die Verluste nicht verantwortlich. Allerdings seien vor der Fusion Beschlüsse gefasst worden, die viel Geld kosten. Als Beispiel nannte er den noch von der Wiener Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Ärztevertrag, der wesentlich höher ausgefallen sei als in anderen Bundesländern. Das habe Druck für die anderen erzeugt, dem nachzuziehen.
Verlust von 175,3 Mio. Euro
Die von Arbeitnehmervertretern geforderte Hilfe von anderen Trägern über einen Strukturausgleich oder von der Regierung lehnt der Obmann der Selbstständigenversicherung SVS ab. Das Problem zu lösen sei „Aufgabe der Selbstverwaltung in der ÖGK“. Er habe großes Vertrauen in die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Diese würden die richtigen Schritte setzen, um Synergieeffekte zu erzielen, die den nötigen finanziellen Spielraum wieder bringen, zeigte sich Lehner überzeugt.
Laut der am Donnerstag veröffentlichten Gebarungsvorschau erwartet die ÖGK heuer einen Verlust von 175,3 Mio. Euro. Bis 2024 soll demnach das jährliche Defizit auf 544 Millionen Euro steigen. Kumuliert bedeutet das einen Bilanzverlust in fünf Jahren von insgesamt 1,7 Milliarden Euro. Die SVS hat ihre Gebarungsvorschau noch nicht veröffentlicht.
„Lügenmärchen“ Patientenmilliarde
Lehners Meinung stößt bei den Arbeitnehmervertretern auf Empörung. Die Co-Vorsitzende im Dachverband, die Leitende ÖGB-Sekretärin Ingrid Reischl, die mit 1. Juli von Lehner den Vorsitz übernimmt, widerspricht ihrem Arbeitgeber-Kollegen vehement: „Das fette Minus in der Krankenversicherung ist ein perfektes Beispiel, dafür wie man ein gut funktionierendes System mutwillig zerstört“, sagte Reischl. Statt der von Türkis-Blau versprochenen „Patientenmilliarde“, stünden die Versicherten nun vor einem „Milliardengrab“. „Und als Draufgabe versuchen die Verantwortlichen in einem Rundumschlag die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben.“ Für Reischl sind die Aussagen Lehners ein „leicht durchschaubares Ablenkungsmanöver“. Das Defizit ist für sie „klar auf den übereilten und nicht durchdachten Kassenumbau“ zurückzuführen. Die Kassen seien vor der Fusion in der Gesamtheit positiv übergeben worden.
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FSG-Vorsitzende Barbara Teiber sprach von einem „weiteren Lügenmärchen nach der Patientenmilliarde, die jetzt offenbar von den Patienten selbst bezahlt werden muss“. Sie verwies darauf, dass die Gebietskrankenkassen 1,4 Milliarden Euro an Rücklagen eingebracht und in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal negativ bilanziert haben. Sie seien auch sorgsam mit dem Geld der Versicherten umgegangen. So seien die Ausgaben pro Kopf für ärztliche Hilfe in den Gebietskrankenkassen ein Drittel geringer als in der Beamtenversicherung BVA gewesen. Auch die Kosten pro Kopf für Heilbehelfe seien in den Gebietskrankenkassen geringer als in der Beamtenversicherung gewesen. „Den durch die Fusion entstandenen Milliardenschaden jetzt der roten Selbstverwaltung in den Gebietskrankenkassen anzuhängen, ist schäbig.“ Gemeinsam mit dem Arbeitnehmerobmann in der ÖGK, Andreas Huss, verwies Teiber auch darauf, dass Türkis-Blau am 1. Juli 2018 eine sogenannte Ausgabenbremse erlassen habe. Damit konnte kein neuer Vertrag teurer sein als die Beitragseinnahmensteigerung des jeweiligen Jahres. Die Aufsichtskommissäre der damaligen Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hätten die Einhaltung genau kontrolliert. Kein Vertrag, der diesen Vorgaben nicht entsprochen hat, sei von der Aufsicht genehmigt worden. Ab 1. April 2019 musste jeder neue Vertrag von der kommissarischen Leiterin im Überleitungsausschuss bzw. ab erstem Juli 2019 dem Generaldirektor vorgelegt werden. Der Überleitungsausschuss hätte jeden zu teuren Vertrag an sich ziehen und ablehnen können. „Der Generaldirektor hat aber jedem dieser Verträge grünes Licht gegeben und kein einziger wurde vom Überleitungsausschuss an sich gezogen“, widersprachen Teiber und Huss den Aussagen Lehners.
Auch dass die Leistungsharmonisierung von Lehner angeführt wird, stößt Teiber sauer auf. Die dafür von den Gebietskrankenkassen aufgewendeten 84 Millionen Euro hätten die Kassen seit 2017 aus den Ausgleichsfonds selbst finanziert. Trotzdem hätten die Kassen 2017 und 2018 positiv bilanziert. Im Gegensatz zum alten Hauptverband, der mit einem Vertrag die Medikamentenausgaben limitierte, sei im neuen Dachverband offenbar niemand mehr für die Medikamentenpreise zuständig. Teiber befürchtet deshalb, dass diese in den nächsten Jahren zum Wohle der Pharmaindustrie davon galoppieren werden.