7. Mai 2019
Spitalsärzte-Umfrage: Hilferuf der Ärzteschaft in Wiens Spitälern
Mehr Arbeitszeit, weniger Personal in Spitälern – Weismüller: „Auch das Krankenhaus Nord wird nicht zur Entlastungbeitragen“
Wien (OTS) – Wiens Spitäler sind in Gefahr. Diese Schlussfolgerung bestätigt eine im April 2019 durchgeführte Umfrage unter allen Wiener Spitalsärzten, um zu eruieren, wie prekär die Lage in den Wiener Spitälern tatsächlich derzeit ist. Obwohl das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) seit mittlerweile vier Jahren in Wien umgesetzt wird und seitdem die Einführung entsprechender Begleitmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung versprochen wurde, gibt es nach wie vor große Probleme, welche die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte massiv erschweren und immer weniger Zeit für die Patienten erlauben. ****
Mit der Umfrage wollte die Ärztekammer erfahren, wie die Ärzteschaft die aktuelle Situation in der Patientenversorgung einschätzt, ob mittlerweile die gesetzliche Arbeitszeit eingehalten wird und ob Zeit für die Ausbildung in den Wiener Spitälern überhaupt noch vorhanden ist. Von der Ärztekammer beauftragt wurde die unabhängige Beratungsfirma Pitters Trendexpert.
Insgesamt konnten 7102 Kolleginnen und Kollegen telefonisch bzw. elektronisch und anonym in den Häusern des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV), im AKH und in den Wiener Privatspitälern teilnehmen. Die Beteiligungsquote betrug 23 Prozent, das entspricht 1612 Ärztinnen und Ärzten. Davon entfielen allein 58 Prozent auf den KAV, das sind fast 27 Prozent aller 3495 dort tätigen Mitarbeiter.
Arbeitsverdichtung und Personalmangel steigen
Und hier die Ergebnisse: Für 86 Prozent der Wiener Spitalsärzte hat sich die Arbeit in den letzten Jahren verdichtet, im KAV sehen das bereits neun von zehn Ärztinnen und Ärzten so. Knapp 82 Prozent im KAV empfinden, dass sie zu wenig Zeit für ihre Patienten haben, nur knapp 5 Prozent haben ausreichend Zeit. Folgerichtig gaben etwa 85 Prozent der KAV-Ärzte an, dass es an ihrem Arbeitsplatz zu wenig Personal gebe.
Für den Vizepräsidenten und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, Wolfgang Weismüller, haben sich damit „unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt, der Trend geht ganz klar nach unten. Es muss jetzt gehandelt und mehr Personal zur Verfügung gestellt werden“. Die negative Entwicklung sei deutlich aufgezeigt worden, man dürfe daher „nicht zuwarten, bis es lückenlose 100 Prozent sind, die auf Fehlentwicklungen hinweisen“.
„Auch das Krankenhaus Nord wird nicht zur Entlastung beitragen“, erklärt Weismüller und führt weiter aus: „Die Personalbedarfsberechnung der Generaldirektion des KAV ist schlichtweg falsch, wichtige medizinische Fächer sowie die Zentrale Notaufnahme werden in dem neuen Spital von Anfang an hoffnungslos unterbesetzt sein.“ Der Ärztekammer liegen laut Weismüller entsprechende – auch dem KAV bekannte – Berechnungen vor, „die eindeutige Mängel in der Personalplanung des Krankenhauses Nord aufweisen“.
Problem mit Nachtdiensten als „Dauerbrenner“
Etwa acht von zehn Ärztinnen und Ärzten (81 Prozent) gaben an, Nachtdienste zu leisten. Brisant wird es, wenn danach gefragt wird, ob man diese Nachtdienste auch rechtzeitig verlassen kann: Nur knapp mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Ärzteschaft kann demnach ihre Nachtdienste immer zeitgerecht verlassen.
Das Ergebnis unterscheidet sich kaum nach Alter, Geschlecht und Arbeitgeber – es betrifft also den KAV und die anderen Spitäler gleichermaßen. Fast alle derjenigen, die länger nach Nachtdiensten bleiben müssen (96 Prozent), tun dies einmal pro Monat oder öfter, 57 Prozent sogar mindestens einmal pro Woche. Großteils fallen dabei zwischen einer Stunde und drei Stunden mehr Zeitaufwand an. Die drei Hauptgründe dafür sind Dienstübergaben (62 Prozent), administrative Tätigkeiten (50 Prozent) sowie die Patientenversorgung (40 Prozent, Mehrfachnennungen möglich).
„Die Situation hat sich seit unserer letzten Erhebung 2018 deutlich verschlechtert“, kommentiert Weismüller und erklärt: „Letztes Jahr gaben die Kolleginnen und Kollegen noch an, einmal pro Monat länger bleiben zu müssen. Jetzt passiert das beim Großteil schon jede Woche. Wenn die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen durch unnötige Bürokratie von ihrem Arbeitgeber länger als erlaubt zwangsbeschäftigt wird, dann ist das nicht nur organisatorisch ein Desaster, sondern schlicht und einfach auch illegal.“
Schlechtes Zeugnis für Ausstattung
Unzufrieden zeigen sich auch viele Ärztinnen und Ärzte mit der Infrastruktur in den Wiener Spitälern. 41 Prozent sind demnach nicht zufrieden mit der baulichen Ausstattung. Mit der IT-Ausstattung am Arbeitsplatz sind sogar 53 Prozent, also mehr als die Hälfte, unzufrieden. Bestätigt fühlt sich die Ärztekammer auch in ihrer Forderung zur Einrichtung von Zentralen Notaufnahmen (ZNA) in allen Wiener Gemeindespitälern. Weismüller: „Dort, wo die ZNA bereits da sind, funktioniert die Erstversorgung relativ gut, die Kolleginnen und Kollegen zeigen sich zufriedener.“ ZNA gibt es derzeit nur im AKH sowie im Bereich des KAV im Krankenhaus Hietzing und im Wilhelminenspital.
„Das Ergebnis ist auch hier eindeutig: Die Infrastruktur der in die Jahre gekommenen Spitäler muss jetzt erneuert werden“, sagt Weismüller und erneuert seine Forderung nach einer Infrastrukturmilliarde für die Wiener Spitäler, „denn auch hier wird das neue Krankenhaus Nord allein nicht ausreichen, um aktuell eine moderne medizinische Infrastruktur in ganz Wien argumentieren zu können“.