18. Juni 2021
Wissenschaftlicher Durchbruch für chronisch nierenkranke Menschen: Wie die Nieren unsere Muskeln beeinflussen
Patienten mit einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung leiden sehr oft an einem Rückgang der Muskulatur, was eine allgemeine Gebrechlichkeit verstärkt und insgesamt wesentlich zu Morbidität und Mortalität beiträgt
(ANÖ7idw). Nun konnte gezeigt werden , dass die Nieren direkt die Muskeln regulieren. Diese wichtige Kommunikation ist bei chronischen Nierenerkrankungen gestört. In Tiermodellen lässt sich die Störung medikamentös beheben, was Hoffnungen macht, dass dies künftig auch bei nierenkranken Menschen möglich sein wird.
Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen leiden meistens an verschiedenen Begleiterscheinungen, die durch den Nierenfunktionsverlust direkt entstehen wie Erythropoetin-Mangel mit Anämie, Vitamin-D-Mangel und Störungen im Calcium-Phosphat-Haushalt mit Knochenveränderungen und kardiovaskulären Erkrankungen.
Bei zwei von drei Patienten/Patientinnen mit chronischen Nierenerkrankungen kommt es außerdem zum fortschreitenden Rückgang der Skelettmuskulatur mit zunehmender Gebrechlichkeit, was zur hohen Morbidität und Mortalität in dieser Patientenpopulation beiträgt. Über das genaue Zusammenspiel von Nieren- und Muskelfunktion war bisher kaum etwas bekannt – eine Studie , die sowohl Patientenparameter als auch experimentelle Modelle analysierte, brachte diesbezüglich nun einen Durchbruch.
Man weiß, dass es bei vielen chronischen Erkrankungen zu einem Muskelschwund kommen kann. Nun konnten auch erhöhte Blutspiegel bzw. eine direkt gesteigerte Produktion von löslichen muskelhemmenden Faktoren in den Nieren nachgewiesen werden; vor allem von Activin A, einem Protein der TGF-β-Gruppe („transforming growth factor”), das Wachstum und Zellspezialisierung vermittelt, aber auch den Abbau von Muskelzellen reguliert. „Diese Interkation zwischen Niere und Muskulatur stellt eine weitere zentrale Achse zwischen den Nieren und der Körperhomöostase dar“, erklärt Prof. Dr. Tobias B. Huber, Direktor der III. Medizinische Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und Letztautor der Studie.
Zudem konnte gezeigt werden, dass genau die Zellen, welche bei chronischen Nierenerkrankungen durch den Vernarbungsprozess zunehmen, vermehrt die muskelhemmenden Faktoren bilden. Somit entsteht also ein Teufelskreis mit nachlassender Nierenfunktion, zunehmender Vernarbung und vermehrter Bildung von muskelhemmenden Faktoren mit letztlich fortschreitendem Muskelschwund.
In experimentellen Modellen konnte eine medikamentöse Blockade dieser Faktoren oder auch eine Gentherapie der Muskeln den Muskelabbau verhindern. „Wir hoffen, diese Achse bei chronisch Nierenkranken und Dialysepatientintinnen/-patienten künftig durch pharmakologische Modulation kontrollieren zu können, um die Lebensqualität langfristig deutlich zu verbessern“, erklärt der Hamburger Experte.